Was passiert in den USA?
Seit Jahresbeginn sind in mehreren US-amerikanischen Bundesstaaten insgesamt über 300 queerfeindliche Gesetzentwürfe vorgelegt worden, darunter über 170, die transidente Menschen vor allem jugendlichen Alters davon abhalten sollen, geschlechtsangleichende Maßnahmen vorzunehmen. Minderjährige in Texas müssen nun damit rechnen, wegen Kindesmisshandlung von ihren Erziehungsberechtigten getrennt zu werden, sollten diese Zugang zu Pubertätsblockern oder Hormontherapie ermöglicht haben. In Staaten wie Tennessee, Utah und South Dakota ist es trans Jugendlichen vollständig verboten, geschlechtsangleichende Maßnahmen zu ergreifen: falls bereits geschehen, werden sie zur medizinischen Detransition gezwungen. In Mississippi können behandelnde Ärzt*innen, die trans Patient*innen behandeln, ihre Lizenz verlieren.
Entwicklungen wie diese sind beängstigend, kommen aber nicht unerwartet. Schon seit Jahren ist ein rasanter Anstieg von transfeindlicher Rhetorik zu beobachten – vor allem in den USA, aber nicht nur dort. Dabei drängt sich der Begriff des stochastischen Terrorismus auf, bei dem zwar nicht wörtlich zur Gewalt gegen eine bestimmte Personengruppe aufgerufen, aber konstant auf politischer und gesellschaftlicher Ebene Stimmung gegen sie gemacht wird. Wenn sich Gewaltakte gegen diese Gruppe zu häufen beginnen, lässt sich dann leugnen, dass sie im Zusammenhang mit der in der Politik genutzten Argumentation stehen. Man spricht stattdessen von Einzeltätern oder zufälligen Gewaltverbrechen unter besonderen Umständen und bestreitet die Existenz eines systematischen Problems.
Human Rights Campaign berichtet von mindestens 38 trans Menschen, die 2022 in den USA ermordet wurden. Viele der Opfer sind afroamerikanischer und/oder lateinamerikanischer Abstammung, leben also an der gefährlichen Schnittstelle von Rassismus und Transfeindlichkeit. Die Dunkelziffer ist hoch: Oft wird den Taten gar nicht erst nachgegangen, und nicht selten werden Opfer unter Deadnames aufgenommen, sodass nicht klar wird, dass es sich um Hassverbrechen handelt.
Der konservative Moderator Michael Knowles verkündete Anfang März bei der Conservative Political Action Conference: “Transgenderismus, die ganze absurde Ideologie, muss vollständig aus dem öffentlichen Leben ausradiert werden”. Was diese Aussage vor allem in heranwachsenden US-amerikanischen trans Menschen auslöst, ist unter anderem auf der Social Media App TikTok zu beobachten, deren Verbot übrigens bereits seit der Trump-Regierung sowohl bei Republikanern als auch Demokraten im Gespräch ist. Unter dem Sound “ERADICATE”, der einen Audiomitschnitt von Knowles’ Rede enthält, sind Tausende von Posts von Jugendlichen zu finden, die an die Menschlichkeit ihrer Regierung appellieren. Sie zeigen Kindheitsfotos, ihre Hobbies, oder erste Schritte in ihrer Transition.
“Inzwischen frage ich mich nicht mehr, ob ich ermordet werde, sondern wann,” schreibt ein anonymer User. Ein 17jähriges Mädchen kommentiert: “Warum wollt ihr uns loswerden? Wir wollen einfach nur leben. Bitte.” In der Videobeschreibung eines 16jährigen steht: “‘Life, liberty, and the pursuit of happiness’, am Arsch. Ihr interessiert euch nur für euch selbst.” Die englischsprachigen Worte lauten übersetzt “Leben, Freiheit und das Streben nach Glück” und sind ein Zitat aus der US-Verfassung.
Knowles’ Bezeichnung “Transgenderismus” unterstellt trans Menschen die Verbreitung eines schädlichen Weltbilds, einer gefährlichen Ideologie, die es zu bekämpfen gilt. Nicht selten wird dabei wie in Texas der Schutz von Kindern als Vorwand genutzt. Dabei sprechen die Fakten dagegen: die Wahrscheinlichkeit von Depressionen und suizidalen Tendenzen bei trans und nichtbinären Jugendlichen sinkt mit dem Zugang zu Ressourcen wie Pubertätsblockern und Hormontherapie dramatisch, so das Journal of the American Medical Association.
Was hat das mit Deutschland zu tun?
Die Annahme, die queerfeindliche Politik der USA sei ein isoliertes Problem, trügt. Mit dem globalen Rechtsruck in sämtlichen westlichen Staaten ist gleichzeitig das Aufgreifen transfeindlicher Rhetorik zu beobachten, auf die sich konservative Regierungen wie beispielsweise die Ungarns und Italiens immer wieder stützen. Gezielte Desinformation wie die Vermischung von LSBTIQ* mit Pädophilie und die vorgetäuschte Priorisierung von Kinderschutz, sowie das Vorenthalten queerer Themen in Schule und Öffentlichkeit finden längst schon in Europa statt.
Auch das Hinauszögern des seit Jahrzehnten überfälligen Selbstbestimmungsgesetzes in Deutschland hat Methode: Nicht nur, dass es noch immer auf sich warten lässt, es erfährt auch Abstriche, die in der ursprünglichen Version nicht vorgesehen waren. So wird trans Menschen nach der Personenstandsänderung doch noch eine dreimonatige Wartezeit aufgezwungen, bis sie tatsächlich in Kraft tritt, und im Streitfall entscheidet das Hausrecht immer noch, welchen Bereich eine besuchende Person nutzen darf – basierend auf äußerer Erscheinung. Auf gut Deutsch: Wenn mir persönlich diese Person nicht genug nach Frau aussieht, lasse ich sie nicht in die Frauensauna. Als Diskriminierung soll das nach jetzigem Stand nicht gelten. Selbst in Ländern, in denen es schneller zu gehen scheint und eine Personenstandsänderung mit weniger Aufwand verbunden ist, wie etwa in Spanien oder der Schweiz, schließt die Regelung immer noch nichtbinäre Menschen aus.
Wenn trans Menschen Rechte gewährt werden, so geschieht dies stets schleppend und offensichtlich widerwillig, mit genug Vorbehalten, um sie im Zweifel wieder zurückziehen zu können. Es besteht Grund zur Annahme, dass dem so ist, weil konservative Räume allerorts die entmenschlichende Politik der USA und ihre Ergebnisse aufmerksam beobachten. Es wäre nicht das erste Mal, dass der dortige Erfolg faschistischer Methoden als Richtwert für die eigene Vorgehensweise dient.
Was tun?
Nicht nur weil die steigende Beliebtheit transfeindlicher Argumentationen uns früher oder später alle betreffen wird, sondern auch zum Zwecke internationaler queerer Solidarität ist es von Vorteil, für unsere Geschwister in den USA aktiv zu werden. Organisationen wie Point of Pride machen es sich zur Aufgabe, besonders in konservativen Staaten geschlechtsaffirmierende Ressourcen zur Verfügung zu stellen. Mit der stetig strenger werdenden Gesetzgebung werden viele Betroffene keine andere Wahl haben, als in andere Staaten oder gar das Nachbarland Kanada umzuziehen, und sind daher auf finanzielle Unterstützung angewiesen.
Im direkten Umfeld lohnt es sich, Druck auf die Politik auszuüben und von örtlichen Abgeordneten bzw. Repräsentant*innen auf kommunaler Ebene zu verlangen, die Stigmatisierung von LSBTIQ* zu thematisieren und zu transfeindlichen Äußerungen öffentlich Stellung zu beziehen. Sie dürfen weder salonfähig bleiben, noch zur Basis für Gesetzgebung werden.
Kommentar von Laura